Dienstag, 29. Juni 2010
Nein, Deutschland ist kein Dritte-Welt-Land
Nein, Deutschland ist kein Dritte-Welt-Land. Dort ist ja alles viel einfacher. Klar, dass auch dort der Staat was für die armen Kranken tun muss, sonst käme es u.U. zu Seuchen. Deshalb hat nahezu jedes Dritte-Welt-Land Ambulatorien, wo jeder (auch ein Millionär oder ein ausländischer Tourist) hingegen kann und kostenlos behandelt wird und die aus dem (niedrigen) Steueraufkommen finanziert werden.

Sicher, die Behandlung ist auf niedrigem Niveau, aber nicht schlecht - man kann damit leben. Sogar Medikamente und Verbandsmittel gibt's - weitgehend - kostenlos, natürlich nicht die letzten Edelkracher aus den Forschungsküchen der Pharmariesen, sondern das Alt-Bewährte, etwas mehr Nebenwirkungsbehaftete und ohne rosa Schleiferl! Wer mehr will, bitte, chrom-blitzende Privatkliniken und edle Praxen gibt es überall. Das hat zwar seinen Preis, aber wer es sich leisten kann und es sich Wert ist ....

In Deutschland dagegen gestatten wir uns ein Hochleistungs-Sozialsystem: mehr CT's, MRT'S, Linksherzkatheter, Knochendichtemessgeräte als sonstwo auf der Welt, tollere High-tech-Intensivstationen in jedem kleinen Landkrankenhaus als in den berühmten amerikanischen Edel-Kliniken, ein Kur- und Reha-System, das einzigartig ist auf der Welt, und Medikamente, was "der Arzt für notwendig hält" (genaugenommen, was sich der Patient Wert ist, denn der Arzt wird hier gar nicht mehr gefragt, "Herr Doktor, ich brauch da noch ..."). Die Gesundheit ist aber leider trotzdem eher niedriger als in vielen anderen Ländern.

Das Deutsche System hat nur einen Haken: es ist inzwischen unfinanzierbar! Und es hat einen zweiten Haken: die "Reichen" haben schon lange gesagt "mit uns nicht, Mittelstand und Arme sollen sich doch gegenseitig ihre absurd übersteigerten Wünsche erfüllen", und sie haben sich aus der solidarischen Sozialverpflichtung unseres Grundgesetzes verabschiedet.

Nur die Politik hat jetzt ein Problem. Wie sag ich dem dummen Wahlvolk, das uns die letzten 50 Jahre so brav die Stange gehalten hat für unsere leeren Versprechen "ihr bekommt alles, was notwendig ist, ihr braucht auch gar nichts dafür zu tun, im Gegenteil wenn ihr krank seid, dann braucht ihr nicht einmal mehr arbeiten und kommt ggf. noch auf Kur mit Fango und Tango", dass damit jetzt Schluss ist? Die prügeln uns doch sonst wohin und wählen vielleicht sogar die Roten!

Tja, Sünden (besonders die der Lüge und der Maßlosigkeit) rächen sich irgend einmal! In einem Dritte-Welt-Land wäre man auf solche Luxus-Schnapsideen gar nicht gekommen!

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Deutschland ist ein Land der unrealistischen Erwartungen
Dass unsere Gesundheit schlechter wäre als die vieler anderer Länder würde ich anders sehen. Wir Ärzte erzeugen ja in den seltensten Fällen die Bedingungen für echte Gesundheit. Die Patienten haben natürlich die schlichte Vorstellung, dem wäre so. Wir sind bei fortgeschrittenem Alter und Auszehrung des begrenzt lebensfähigen Organismus oft nur in der Lage unterschiedlich stark behinderte Menschen zu betreuen. Vor 100 Jahren waren alle gesünder als heute. Dafür waren die Kranken, die wir heute um uns haben damals gleich gestorben. Wenn man die Qualität unseres Gesundheitssystems am Straßenbild der übergewichtigen Diabetiker, hustenden COPDler und Herzinsuffizienten beurteilt, dann kommen wir schlecht weg. Aber es ist ja genau umgekehrt. Hoher Behinderungsgrad ist Zeichen hoher medizinischer Leistungsfähigkeit. Jung und gesund kann jeder.

Die Strafe für die wie im Märchenland immer befriedigten Begehrlichkeiten ist ein total verzogenes Volk, das seh ich genauso. Was war das bei den 10 € anfangs für ein Wehklagen der Patienten. Die daher erwartete Wirkung einer “Schutzgebühr” ist aber so gut wie weg. 10.-€ hat jeder übrig, nur die doofen Ärzte haben den Ärger mit dem kostenlosen Eintreiben behalten. Wenn man da zu den Zahnärzten schaut, kann man sehen was Erziehung der Menschen ausmacht. Wenn ich meine betagten Patienten frage was sie die Implantate denn nun kosten, die sie so “alternativlos” zum fixieren der (früher auch ohne Zähne immerhin mäßig fixierbaren) Prothese benötigen, dann staune ich nicht schlecht, was so alles bezahlt wird.

Ich will nicht über Ärzteeinkommen reden, sondern darüber, dass die Chipkarte den Arzt entwertet hat. Was nichts kostet ist im Rückschluss nichts wert. Und diese scheinbar kostenlose Kuh GKV kann man melken bis sie exsikkiert kollabiert.
Jede Politikergeneration schiebt den schwarzen Peter der peinlichen Wahrheit in die nächste Legislaturperiode weiter. Aber dass man nur auf die nächsten guten und teuren Innovationen warten braucht (Glivec war eine davon) bis die Kuh einen Infarkt erleidet, das will keiner voraussehen.

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