Dienstag, 11. Mai 2010
Vom Ärztemangel und der Ärzteschwemme
"Wann muss ich wiederkommen, Herr/Frau Doktor?". Dieser Einleitungssatz für die Verabschiedung des Patienten ist inzwischen genauso verbreitet wie das altbekannte "na, wie geht's uns denn heute" des Arztes, wobei das "heute" sich hier aus der täglichen Visite in der Krankenhauszeit des Arztes in seine Praxis gerettet hat und - unbewußt - signalisiert, dass er den Patienten gerne viel engmaschiger (täglich, wie im Krankenhaus) überwachen wollte.

Und jetzt haben wir in Deutschland eine Patienten/Arzt-Kontakthäufigkeit von 18/Jahr (im Durchschnitt!!!), während die meisten anderen Länder mit 3-6 auskommen.

Daraus schließen die nichtärztlichen Schlaumeier und Spitze-Bleistift-Rechner aus Politik, Krankenkassen und "Wissenschaft", dass wir in Deutschland sogar zuviele Ärzte haben, dass die bösen KVen sie nur nicht richtig verteilen!

Wenn dem wirklich so wäre - wobei das mit dem "Verteilen" in einem Rechtsstaat mit Freizügigkeit im Grundgesetz ja auch nicht so einfach machbar ist - , dann frage ich mich natürlich, warum denn auch in den Kliniken eine Ärztemangel herrscht? Hier hat die KV nix mitzureden! Sind denn auch alle Kliniken unfähig?

Und ich frage mich auch, warum hier nur die - zugegeben auffällige - Anzahl der Arztkontakte publiziert wird und nicht auch die durchschnittliche Arzt-Patienten-Kontaktzeit, oder die Arzt-Bevölkerungs-Relation (Wo wenig Ärzte sind, wird's auch nicht soviele Arzt-Patienten-Kontakte geben können: der Bananenverbrauch in der DDR war ja auch niedriger wie in der BRD - weil' so wenig gab!).

Und dann wären da noch die Patienten (siehe oben)! Selbst wenn ich einen Patienten verabschieden würde mit den Worten "Dann kommen sie mal wieder, wenn sie wieder krank sind", würde er ganz empört denken "der Doktor will mich wohl krank haben, damit er was verdienen kann. Der soll aber vielmehr schauen, dass ich gesund bleibe".

Und da haben wir das eigentliche Problem: Patienten wie Ärzte haben heute viel mehr Angst vor der "Krankheit" oder vor der "Verschlimmerung" und versuchen - durch (zu?) engmaschige Kontrollen - die Gefahr zu minimieren. Das haben sich dann aber eher die Politik und die Krankenkassen an's Revers zu heften, denn hier wurde immer lauthals betont, was der Versicherte für Rechte hat! Schließlich steht im SGB V ja explizit nicht nur die Behandlung der Krankheit als Leistungsanspruch, sondern auch die Verhütung und die Vermeidung von Verschlimmerung! Und auch die Gesellschaft an sich ist mit verantwortlich, die immer weniger bereit ist, selbst Verantwortung zu tragen, vielmehr diese in zunehmendem Maß den "Fachleuten" aufzubürden.

Nur als Beispiel: die Hälfte meiner gestrigen Patientenkontakte waren mehr oder weniger überflüssige Kontrollen nach Erkältungskrankheiten! Ich habe sie nicht einbestellt. Ich bekomme dafür auch keinen Cent mehr. Aber sie kamen, weil sie selbst zu unsicher waren, ob sie sich "gesund" fühlen dürfen, oder - wie der Münchner Humoristen Karl Valentin es so treffend ausdrückte: "Mögen täten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut".

... link (1 Kommentar)   ... comment