Donnerstag, 10. September 2009
Kap.3: Der Sicherstellungsauftrag
Der Staat hat - wie in Kap.1 beschrieben - die Gesundheitsfürsorge als staatliche Aufgabe erkannt und angenommen.

Im stationären Bereich tut er dies (jedenfalls tat er dies bis vor wenigen Jahren) durch die Einrichtung und den Betrieb von Krankenhäusern der Öffentlichen Hand. Diese (und die schon vorhandenen privaten und kirchlichen) KH's sind im Krankenhaus-Bedarfsplan gelistet. Sollte hier ein zu geringes Angebot bestehen, wäre der Staat verpflichtet, weitere Häuser zu eröffnen. Im Gegenzug dazu kann er auch Häuser aus dem Bedarfsplan streichen, wenn nach seiner Erkenntnis ein Überangebot besteht.

Inzwischen hat der Staat die rechtliche Möglichkeit geschaffen, dass bisher öffentliche Krankenhäuser privatisiert werden (öffentliche Häuser werden in GmbH's umfirmiert oder gleich an eine private Betreiberkette verkauft). Dennoch existiert auch weiterhin der von den Landesparlamenten beschlossene Krankenhausbedarfs-Plan, und die Gesundheitsministerien der Länder sind die jeweiligen Überwachungsbehörden.

Das bedeutet, die Verantwortung zur "Sicherstellung von stationären Gesundheitsleistungen" liegt beim Staat. Der schafft die nötigen Einrichtungen, stellt dazu das nötige Personal an (dieses kann - wie überall sonst auch - streiken, wenn es mit den Arbeitsbedingungen nicht einverstanden ist) und "betreibt" das Krankenhaus, bzw. er sorgt dafür, dass andere Betreiber betreiben.

Bislang bestand auch die Regelung (davon wollen die Länder mit Macht weg und haben deshalb so gewaltig auf die Privatisierbarkeit gedrängt), dass der Staat für die Investition (d.h. Bau, Einrichtung, Ausstattung) des KH zuständig ist und die Krankenkassen "nur" die Verbrauchskosten übernehmen. Mit den Privatisierungsbestrebungen sollen - nach dem Willen der Länder - die Krankenkassen aber auch die Investitionskosten tragen.

Auch für den ambulanten Sektor ist der Staat verantwortlich. Er könnte nun - wie in vielen anderen Ländern der Welt auch - diese Aufgabe dadurch erfüllen, dass er - wie im stationären Bereich auch - selbst aktiv wird. Hat er aber nicht getan!

Zu Anfang, zu Bismarcks Zeiten, waren die Kassen-Ärzte (daher auch der Name) bei den gesetzlichen Kassen angestellt. Und die haben schon nach 10 Jahren (also 1893) den Zusammenhang zwischen Arztzahl und Kassenausgaben erkannt. Ist natürlich klar: wenn ein - weitgehend kostenloses - Angebot neu geschaffen wird, dann wird es auch in Anspruch genommen (der Bananenverbrauch in den ehemaligen östlilchen Bundesländern stieg nach der Wende aufgrund der besseren Marktversorgung ja auch sprunghaft an): je mehr Ärzte, desto höhere Kosten (damals wurde der Begriff "Kostenexplosion im Gesundheitswesen" erstmals genannt)! Und so haben die Kassen die bei ihnen angestellten Ärzte - was das Honorar und die ärzlich verordneten Leistungen anbelangt - derart unter Druck gesetzt, dass 1900 der Hartmannbund als Standesvertretung der Ärzte gegründet wurde.

Bismarck hat daraufhin entschieden, dass die Ärzte nicht mehr bei den Kassen angestellt sein dürfen, sondern über ihre Standesvertretung mit den Kassen allgemeinverbindliche Verträge aushandeln sollen. Im Dritten Reich ist der Harmannbund dann in die Reichsärztekammer überführt worden und nach dem 2.Weltkrieg wurden (wegen der wohl zu braunen Vergangenheit des HB) die "Kassenärztlichen Vereinigungen" als "Anstalten des Öffentlichen Rechts" geschaffen. Diesen KVen wurde der Sicherstellungsauftrag für die ambulante Versorgung der Kassenpatienten übertragen. Das bedeutet, dass die KVen dafür zu sorgen haben (durch entsprechende Beauftragung von Ärzten und durch Verträge mit den Krankenkassen), dass die deutschen Kassenpatienten entsprechend den Vorgaben des "Sozialgesetzbuches V" versorgt werden.

Da die Politik in den letzten 30 Jahren durch über 140 Spargesetze in die eigentliche Vertragshoheit zwischen Kassen und KVen eingegriffen hat, wird die Forderung immer lauter, dass die KVen den Sicherstellungsauftrag zurückgeben (an die Krankenkassen, wo er eigentlich auch hingehörte), und natürlich "drohen" die Kassen auch immer wieder damit.

Tatsächlich kann der Politik aber nichts besseres passieren als die KVen, denn diese sind der Rechtsaufsicht der Gesundheitsbürokratie unterworfen, müssen alles, was sich die Politik so (zum Sparen) einfallen lässt, bei den Ärzten durchdrücken und sie kriegen auch noch die Prügel der Ärzte ab, die immer noch der - irrigen - Ansicht sind, die KV sei "ihre" Vertretung!

Kurz gesagt: die KV ist der Mann fürs Grobe den Ärzten gegenüber. Sie muss die Ärzte mit Subunternehmer-Verträgen drücken, sie darf die - per Gesetz begrenzten - Versicherungsgelder an die Ärzte "gleichmäßig und gerecht" verteilen, sie ist der juristisch Verantwortliche dafür, dass die ärztlichen Honorare "angemessen" sind, sie muss die Ärzte bestrafen, wenn sie sich anders verhalten als sie - nach den Sozialgerichtsurteilen - sollen dürfen. Sie muss abwägen zwischen den Interessen des einzelnen Arztes (seine erbrachte Leistung bezahlt zu bekommen) und den Interessen aller Ärtze (ausreichend Geld zum Überleben zu bekommen), sowie den Rechten der Patienten, alles notwendige zu Verfügung gestellt zu bekommen!

Kassenärzte sind - wie gesagt - Subunternehmer der KVen. Sie haben - als Selbständige - für ihre eigene Kosten- und Einkommensstruktur zu sorgen. Da sie im Staatsauftrag im sozialen Bereich tätig sind, bekommen sie ein "angemessenes Honorar", auf dessen Ermittlung sie keinen Einfluss nehmen können und gegen das sie sich nicht einmal zur Wehr setzen können (kein "Streikrecht"), weil sie ja einen Auftrag des Staates haben. Aus diesem Grund dürfen sie auch keine betriebswirtschaftlichen "(Unternehmens-)Gewinne" machen!

Mit anderen Worten: die Installation der KVen als Anstalten des Öffentlichen Rechts, die bedingungslos alles umsetzen müssen, was die Politik vorschreibt, und die Ärzte mit Knebelverträgen daran hindern muss, sich dagegen zur Wehr zu setzen (gemeint sind hier nicht nur die Ärzteeinkünfte, sondern ganz klar auch die Arbeitsbedingungen, die private Haftungssituation, die Nachforger-Situation) war einer der genialsten Schachzüge der deutschen Nachkriegspolitik.

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