Donnerstag, 8. Oktober 2009
Euch Niedergelassenen geht es nicht schlecht
Hier ein Artikel aus der Zeitschrift „Arzt und Wirtschaft“, Ausgabe 10/1990. Ich hab’ die zwar nicht um Abdruck-Erlaubnis gebeten. Aber das ist eine ganz hervorragende Fachzeitschrift und ich nehme an, dass das für sie eher Werbung ist. Jedenfalls ist der Artikel – damals wie heute (mit entsprechend geänderten Zahlen) – absolut stimmig!

Haben sie sich nicht auch schon mal gewundert, dass Einkommensvergleiche zwischen niedergelassenen und beamteten Ärzten bisher nie konsequent durchgeführt wurden – wenn sich überhaupt mal jemand an dieses brenzlige Thema gewagt hat? Darüber muss man sich wundern, denn schon die Beschaffung von Basisdaten bei den zuständigen Stellen bereitet größte Schwierigkeiten (Anm.: jetzt über Internet leichter). Selbst die Betroffenen wissen auf Anhieb weder ihr genaues Gehalt und schon gar nicht den Geldwert der zahlreichen „Nebenleistungen“.
Ein Kollege hat sich die Mühe gemacht. Das Resultat eines Klassentreffen-Gesprächs einmal zu Papier zu bringen. Die Lektüre ist für Sie hoffentlich vergnüglich – das Ergebnis ganz gewiss erstaunlich.

„Euch Niedergelassenen geht es nicht schlecht!“

Norddeutsche Großstadt im Winter. Gemütlicher Weinkeller. Blankgescheuerte Holztische. Alte Weinfässer an den Wänden. Schummrige Beleuchtung. Drei etwa vierzigjährige Männer ein einem Stammtisch.
NORBERT (winkt dem Ober: „Also, meine Lieben, ich habe eine kleine Überraschung zum Abschluss unseres diesjährigen Klassentreffens organisiert!“
OBERKELLNER (kommt geruhsam herbei, wirft einen respektvollen Blick auf die Weinflasche in seiner Hand und zelebriert das Einschenken): „Alle Achtung die Herren. Ein Dietzemer Burggraben 1969. Bester Jahrgang.“
NORBERT (hebt sein Glas): „Ja, unser Abiturjahrgang war so.“
Alle lachen
NORBERT: Prost, auf die nächsten zwanzig Jahre, wenigstens zunächst mal.“
Die drei Herren nippen andächtig am edlen Tropfen. Pause von einigen Sekunden.
HORST (etwas ketzerisch): „Euch Niedergelassenen scheint es ja nicht schlecht zu gehen. Bei meinem Gehalt als Medizinaldirektor könnte ich mir diesen Luxus nicht leisten.“
NORBERT (feixend): „Das ist eine Einstellungsfrage, mein Lieber. Schon früher hast du dein Geld lieber in deine Briefmarkensammlung gesteckt. Unter Freunden: Wie viel verdienst du denn?“
HORST: „Kannst Du überall nachlesen. Medizinaldirektor, vierzig, Ehefrau von 35, Sohn von neun und Tochter von sieben Jahren. Macht 5000 Mark monatlich brutto.“
NORBERT: „Mich legst du nicht aufs Kreuz. Die Zusatzleistungen hast du unter den Tisch fallen lassen!“
HORST: „Also gut, Ortszuschlag 1 B macht 1162,335 Mark zusätzlich. Aber dein Einkommen würde mich auch interessieren, raus mit der Sprache.“
NORBERT: „Bei 1000 Scheinen habe ich 300 000 Mark Umsatz jährlich. Das entspricht etwa 150 000 Mark Bruttoeinkommen, also rund 11 666 monatlich.“
HORST (triumphierend): „Da kannst du noch eine weitere Flasche ausgeben, du Kapitalist.“
ULF (löst sich zögernd aus seiner Zuhörerrolle): „Als Notar bin ich für klare Begriffe, wenn wir nicht Äpfel und Birnen miteinander vergleichen wollen. Welche Definition für „Einkommen“ wollen wir wählen?“
HORST: Alles, was für unsere Leistungen aufs Konto gezahlt wird, schlage ich vor.“
NORBERT: zweifelnd „Und was ist mit deiner Krankenbeihilfe, die dann nicht mitzählt?“
ULF (dienstlich): „Mein Vorschlag: „Einkommen“ setzt sich zusammen aus direkten und versteckten Vergütungen für persönlich erbrachte, berufliche Leistungen. Nicht dazu rechnen wollen wir die personellen, technischen und räumlichen Hilfsressourcen. Einverstanden?“
NORBERT: „Wollen wir nicht den Begriff „Leistung“ mit einfließen lassen?“
ULF (überlegt): „Denk mal an den alten Studienrat Großmann im Physikunterricht. „Leistung“ war damals „Arbeit je Zeiteinheit“. Zeit kann man messen, aber eure Arbeit müssen wir als gleichwertig ansehen, sonst kommen wir mit unserem Einkommensvergleich nie zu Ende.“
HORST (grinsend): „Ulf, du bist doch Notar. Dann notier mal, was Norbert verdienen müsste, wenn er Beamter nach A 15 wäre: Grundgehalt 5000 Mark, Ortszuschlag 1162.35, wie schon besprochen.“
NORBERT: „Vorsicht, Ulf, er schummelt schon wieder, wie früher bei den Lateinarbeiten. Was ist mit dem 13. Monatsgehalt? Was ist mit den „sonstigen Beihilfen“?“
HORST (rechnet nach, zögernd): „Also gut. Die monatlich anteiligen 416 Mark für das 13.Gehalt will ich gerne zugeben, die „sonstigen Beihilfen“ machen nicht mal einen Hunderter monatlich aus.“
NORBERT (triumphierend): „Und der Urlaub? Wenn ich sechs Wochen meinen Bauch auf Teneriffa sonne, kostet mich meine Praxisvertretung 10 000 Mark. Ulf, wie viel ist das pro Monat?“
ULF (rechnet und notiert): Neunhundert.“
HORST (ärgerlich): „Jetzt reicht’s aber langsam.“
NORBERT (belustigt): „Keineswegs, jetzt geht’s erst richtig los. Dazu kommt eine monatliche Prämie von 600 Mark für die Betriebsunterbrechungsversicherung über 500 Mark pro Tag.“
HORST (verunsichert): „Hast du denn eine abgeschlossen?“
NORBERT: „Nein, aber ich trage das Risiko selber, bin sozusagen meine eigene Versicherung.“
HORST (zweifelnd): „Wollen wir das gelten lassen, Ulf? Er rechnet den Beamten eine Versicherung als indirektes Gehalt an, die er aber selbst nicht abgeschlossen hat?“
ULF: Tja, stell dir vor, du brichst dir ein Bein. Zahlst du dann die Kosten für deine Dienststelle? Natürlich nicht. Aber die Kosten von Norbert würden weiterlaufen.“
HORST (kleinlaut): „O.K.“
NORBERT: „Wie viel ist denn deine Krankenbeihilfe wert, Horst?“
HORST (verzweifelt): „Weiß ich nicht.“
ULF (holt Unterlagen aus seiner Aktentasche und blätter): „Habe ich hier. 30% Selbstbeteiligung für die Eltern, 20% für die Kinder. Macht für Horst 139,65 DM, für seine Frau 182,63 DM, für seine Kinder je 37,78 DM. Zusammen 397,84 DM.“
NORBERT (denkt nach): “Außerdem hat Horst einen Anspruch auf Pension im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit und zahlt nichts dafür. Ich bleche für eine etwa gleiche Leistung monatlich 1713 DM. Notiert! Weiter geht’s. Ich muss eine Risikolebensversicherung über 50 000 DM abschließen. Kostet mich monatlich 52,20 DM Schreib’s dazu.“
HORST (wütend): Jetzt reichts aber. Du spielst wieder mit gezinkten Karten wie damals, als wir um Eva pokerten. Du hast doch eine Betriebsunterbrechungsversicherung, was soll da noch eine Risikolebensversicherung?“
NORBERT (beruhigend): „Wenn ich plötzlich sterbe, kann meine Frau die Praxis nur mit Verlust schnell verkaufen, während der Staat deine Witwe noch mit einer Beihilfe bedenken wird.“
ULF (streng): „Sei nicht so makaber, Norbert. Aber noch etwas: Wie sieht es mit dem Insolvenzrisiko aus, das du als Selbständiger im Gegensatz zu Beamten trägst?“
NORBERT: Es heißt, etwa zehn Prozent der Praxen seien finanziell gefährdet. Aber rechnen wir zurückhaltend mit 0,5% p.a. … macht … 125 Mark monatlich. Und noch etwas: Hast du jemals gehört, dass ein Beamter wegen nicht grob schuldhaft verursachten Schäden zur Verantwortung gezogen wurde? Aber selbst wenn dieser Fall eintreten würde: Vater Staat sorgt dann für Rechtsschutz und übernimmt die haftung. Was macht das, Ulf?“
ULF (blättert erneut): „Rund 15 Mark Rechtsschutzversicherung. 45 Mark für die Haftpflichtversicherung.“
HORSt (kraftlos, blass): „Sonst noch was?“
NORBERT: Ulf, über die Leistungen wollten wir nicht sprechen, aber über die zusätzliche Arbeitszeit…“
HORST (unterbricht ihn triumphierend): „Diesmal seid ihr mit eurer Rechnerei auf die Nase gefallen. Ein Beamter ist immer im Dienst und wird für Überstunden nicht bezahlt. Im Gegensatz zu dir, Norbert.“
ULF: „Welche Zusatzarbeit meinst du, Norbert?“
NORBERT (liest aus einem Zettel ab): „im letzten Monat beispielsweise hatte ich 224 Stunden Rufbereitschaft, 64 Stunden Bereitschaftsdienst und dann noch 112 Stunden Notdienst einschließlich Notarztwagen. Zähl das mal zusammen.“
ULF „Der Staat darf in gewissem Rahmen von seien Beamten unentgeltlich Mehrarbeit verlangen, aber deine große Zahl Überstunden müsste mit Freizeit oder mit Geld vergütet werden. Wenn man die Rufbereitschaft zu 10% rechnet, den Bereitschaftsdienst zu 25% und den Notarztdienst zu 75%, dann ergaben sich rund 122 Arbeitsstunden, die mit 3660 DM zusätzlich vergütet werden müssten.“
HORST (springt auf, wütend): „Ihr seid Haarspalter und Pfennigfuchser. Eure Rechnung könnt ihr euch an euren Hut stecken!“
ULF (präsentiert das Papier): „So, hier ist meine Aufstellung. Warum ärgerst du dich denn, Horst? Du kannst doch stolz sein, du bist der Sieger.“
Horst (beruhigt sich, zögernd, misstrauisch): „So seht Ihr das also.“
ULF (grinsend): „Weshalb hast du dich eigentlich aufgeregt? Wir wollen und können dir keinen Pfennig wegnehmen. In einer Leistungsgesellschaft sollte man eigentlich auf ein gutes Einkommen stolz sein.“
HORST (errötend): „Wie sehen denn die Zahlen unterm Strich aus?“
ULF: „Norbert verdient brutto rund 11 066 Merk, aber du kommst auf 11 101 Mark“
HORST (strahlt): „Da seht ihr mal, was ich wert bin.“
ULF (hebt belehrend seinen Zeigefinger): Aber als Beamter würde Norbert dich übertreffen. Einschließlich Überstundenvergütung käme er auf 14 761 DM.“
NORBERT (nachdenklich): „Wieso drohen eigentlich linke Gesundheitspolitiker immer damit, die niedergelassenen Ärzte zu verstaatlichen und damit zu verbeamten? Seit heute weiß ich, das das eine Verlockung ist.“
Ulf, Horst und Norbert lachen gemeinsam.

Dr.N.Harms

Kommentar aus heutiger Sicht (20 Jahr später!): Die Beträge haben sich inzwischen praktisch verdoppelt (Einnahmen wie Ausgaben, wie Beamtenbesoldung), die Zahlen entsprechen also ungefähr den heutigen Zahlen, nur in €uro! Allerdings erlöst man mit 1000 „Scheinen“ (= Patienten) pro Monat in der Allgemeinmedizin nicht mehr 300 000.-€, sondern (durchschnittlicher Scheinwert incl. Sondereinnahmen aus DMPs und ähnlichem = ~ 50.-€/Quartal) 200 000.- €uro !!! Deshalb fordern Allgemeinärzte ja einen Schein-(Fall-)Wert von 80.- €. Das wären dann 320 000.- €uro / Jahr.

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