Donnerstag, 1. Juli 2010
Ärzte sind (auch) Menschen
Zur Zeit schlagen bei einigen Blogs die Wellen wieder hoch, was den Wert der (ärztlichen) Arbeit, die Bezahlung, die Würdigung und das ständige Lamentieren etc. so anbelangt. Und begreiflicherweise fühlen sich da manche Nichtärzte mit ebenfalls hoher beruflicher Qualifikation, mit anstrengenden und belastenden Arbeitssituationen und mit niedrigen Gehältern etwas auf den Schlips (oder den Rock) getreten. Da heißt's: "warum ändert ihr nicht einfach all die Sachen, die euch stören".

Leider ist die Sache viel komplexer, als es nach außen den Anschein hat.
Da sind zum einen die unterschiedlichen Ärztcharaktere: Der Frosch, der nicht über seinen Tellerrand hinaus schaut, aber tief im Bauch spürt, dass er mit der Situation nicht zufrieden ist und deshalb laut quaakt. Die Primaballerina, die nur selbstverliebt ihre eigene Leistung sieht und sie gar nicht hoch genug bewerten kann. Der Karrierefreak, der sich so lange angestrengt (Studium) und noch viel länger ge-Katzbuckelt (Assistenz-, Oberarztzeit, Promotion, Habilitation), sich obendrein noch hoch verschuldet hat (Praxiseinrichtung): der will das jetzt amortisiert bekommen! Der Idealist, der eigentlich nur deshalb Arzt geworden ist, weil er "helfen" will, es aber nicht so kann, wie er möchte. Der Rechthaber, der überzeugt ist, dass nur er allein die Sache richtig machen kann - und das müssen die andern endlich begreifen!

Es gibt noch viele Type, die man hier aufzählen müsste. "Gutmenschen" sind sie alle, die Ärzte, denn sonst hätten sie diesen Beruf nicht ergriffen: Für jeden Typus gäbe es Berufe, die den persönlichen Zielen und Motivationen eher entsprächen, aber der "Gutmensch", das "Helfersyndrom", das macht ihnen - wie eine Sucht - zu schaffen.

Und dann kommt da so ein "Staat" mit seinen Politikern, die das einfach nicht einsehen wollen. Die meinen, es gäbe auch noch etwas anderes als Medizin, und die ganz eiskalt (brrr..., mich schüttelt's) sagen, "Gemeinwohl geht vor Einzelwohl". Und da sind auch die Richter, die uns Ärzte immer verurteilen, wenn wir was falsch gemacht haben (dabei ist es nicht so ganz klar wovor Ärzte mehr Angst haben, vor den Fehlern beim Patienten oder vor deren - persönliche - Konsequenzen), geben ihnen bei dieser Perversion auch noch Recht.

Und dann kommen da noch Kollegen (die Meinungsbildner oder auch Wichtigtuer), die wissen "wenn alle das tun, was ich für richtig halte, dann gehts uns gut" (Natürlich hat da jeder seinen eigenen Weg!). Die lassen sich dann in die KV oder die Ärtztekammer wählen, die engagieren sich (mehr oder weniger weit oben) in ärztlichen Berufsverbänden, der eine in einem wissenschaftlichen, der andere in einem standespolitischen, der dritte in einem allgemeinpolitischen, der eine mehr regional, der andere überregional. Aber alle haben sie noch ihre Praxen (oder die Anstellung im Krankenhaus), die sie üblicherweise davor bewahrt, aus der parlamentarischen/beratenden/Stammtisch-Ebene in die Vorsitzenden-Verantwortungs-Ebene zu wechseln.

Heraus kommt dabei eine Kakophonie, die jeden Außenstehenden, jeden Politker, aber auch jeden Vorsitzenden (der natürlich ebenfalls seine persönliche Vorstellung vom allein seligmachenden Weg hat, der vor allem aber seine rechtlichen Möglichkeiten und Verpflichtungen kennt und einhalten muss) den Eindruck vermittelt. "Die wissen ja gar nicht was sie wollen! Da muss ich für sie denken und Handeln" (Paradebeispiel Herr Dr.Köhler, Vorsitzender der KBV).

Ja wie war das schön zu Aufbruchzeiten der Schulmedizin (1880- 1920). Da waren die Professoren, die unangefochten festlegten, wo's lang geht. Da waren die Schüler diese Professoren, die begierig und völlig unwidersprochen das umsetzten, das die Wissenschaft an Neuem hergab. Da waren Politiker, die in der Uni angeklopften und fragten, was sie tun sollen (nicht wie heute, wo jeder Politiker sich den "Fachmann seines Vertrauens" hält, der ihm das erzählt, was der Politiker hören will - Herr Prof. Lauterbach, fühlen Sie sich etwa angesprochen?). Damals haben die Zeitungen auch noch von den Fortschritten und Erfolgen der Medizin berichtet, nicht von deren (angeblichen) Fehlern (weil das versprochene - wohl eher geforderte - Ziel nicht erreicht wurde). Und damals konnten die Kassen auch noch alles zahlen, was Ärzte verschrieben (z.B. bis 1906 Champagner auf Kassenrezept zur Stärkung bei allgemeinen Schwäche).

Aber schon im Dritten Reich ging's bergab. Die unabhängigen Ärzte wurden damals (wie auch viele andere Berufe) dem Staat unterworfen, und waren - nach 20 Jahren Kassen-Schlaraffenland - nicht mehr fähig, dem entgegenzutreten um ihre Selbständigkeit zu erhalten. Nach dem Krieg dann ein kurzer "zweiter Frühling": als ein Gesundheitsminister Theodor Blank eine "Krankenscheingebühr" (die heutigen 10.-€ Praxisgebühr) nur andachte, wurde er auf Druck der Ärzte von Adenauer in die Wüste geschickt!

Als es jedoch 1974 mit den Kostendämpfungsgesetzen losging (es sind bisher weit über hundert nachgefolgt!) war der Zug abgefahren. Die deutschen Kassenärzte so gefangen in staatlicher Verantwortung und Zwängen, so niedergemacht von angeblich zu hohen Arzteinkommen ("haben doch alle ihre Villa am Lago Maggiore", dem Wunschparadies des deutschen Nachkriegsmalochers), so beäugt von Kassen, Journalismus und Gerichten, so gegängelt von der Justiz und der Verwaltung!

Wer arm ist und ein bisschen dazu bekommt, ist glücklich und zufrieden. Wer einmal reich war, etwas davon verloren hat, ist unzufrieden, selbst wenn er mehr besitzt als der o.g. Arme!

Wer einst mächtig, angesehen, reich war und dies heute nicht mehr ist, steht psychisch vor dem Ruin. Wer - wie die heutigen Ärzte - dann auch noch die Scherben früheren "Reichtums" der Vorgänger zusammenkehren und dafür noch die Müllabfuhr bezahlen soll, der ist ober-stink-sauer. Und wer dafür auch noch beschimpft (anstatt bedauert - nein, ich meine nicht hier im Blog!!!) wird, überlegt sich, ob er die Rote-Armee-Fraktion nicht wiederbeleben sollte.

Ärzte snd Menschen, wie Du und ich (pardon, ich bin ja einer). Ärzte haben ihren Leistungswillen und ihr Verantwortungsbewußtsein wie jeder andere auch, den üblichen Wunsch nach Anerkennung der Leistung und die Vorstellung, dass sich dies materiell auch entsprechend ausdrückt. Sie haben ihre Stimmungen, Launen, Marotten, Krankheiten, Hobbies, Freunde, Feinde, Lieblingsessen, machmal auch ein bisschen zuviel getrunken, fahren auch mal zu schnell oder parken im Halteverbot. Und es gibt unter ihnen sicher auch schwarze Schafe, Faulpelze, Drückeberger und Stinkstiefel!

Wer von "den Ärzte" spricht und seine Handlungen und Argumente darauf aufbaut, der will bewußt täuschen, der will etwas ganz anderes, als er vorgibt!

Und wer jetzt über der Lektüre etwas verwirrt ist: genau das ist die Situation, verwirrend, nicht ganz durchsichtig, etwas gaga und vor allem: seeehr komplex!

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Du hast den ganz entscheidenden Punkt übersehen (obwohl du ihn am Anfang des Textes angekratzt hast):

Wertschätzung ist ein gegenseitiges Ding.

Solange sich Ärzte (und Manager, Politiker, ...) auf den Standpunkt stellen "ich bin aber was besseres als ihr" - solange wird die breite Masse Gegendruck aufbauen.
Früher WAR Medizin eines der anspruchsvollsten Studienfächer überhaupt. Das WAR aber vor der technischen Revolution... und inzwischen haben andere Fächer (Physik, Ingenieursfächer, Informatik) euch an Schwierigkeitsgraden längst abgehängt. Und zwar nicht zuletzt deshalb, weil EURE Medizin heute ohne UNSERE Ingenieurskunst nichts mehr wert wäre (man denke an OP-Roboter, moderne bildgebende Verfahren, Bestrahlungsgeräte, undundund). Wir Techniker haben euch langsam und heimlich den Rang abgelaufen. Nur dass wir uns selbst eigentlich immer als freakige Nerds gesehen haben und diesen (euren) Herrschafts- und Machtanspruch eigentlich nie hatten. Genau das macht auch die Mediziner heute so unzufrieden - ihr seht, dass es in anderen (unseren) Fächern eben nicht mehr um Rang und Namen geht, sondern vieles im Team funktioniert - und auch noch besser (und menschenfreundlicher) läuft. Langsam aber sicher lassen wir uns aber von euch nicht mehr auf die Rolle des freakigen Nerd reduzieren. Und da komme ich wieder auf meinen Punkt zurück: Macht euch klar, in wie vielen Punkten die Medizin heute von technischen Fächern abhängig ist. Und fangt mal an, UNS eurerseits Wertschätzung entgegen zu bringen - dann haben wir nämlich wieder die Chance, euch mit ins Team zu holen und auf einer gegenseitig wertschätzenden Basis zusammen zu arbeiten.

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...es ist das ewige Gelaber und ich kann's nicht mehr hören:
"ich bin aber was besseres als ihr"

Ich glaube so langsam, es ist die Neurose der nichtärztlichen Akademiker, von den Medizinern zu glauben, dass sie alle denken, sie seien etwas Besseres als die anderen. Mein Gott, studiert bitte alle Medizin und dann wisst ihr's!!!!!!!!

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Ich hatte einen Studienfreund, der war in den 60ern schon Diplom-Elektroingenieur und hat beim Max-Plank-Institut für Psychiatrie in München gearbeitet. Da er der einzige war, der sich einerseits mit den ersten Computern (damals noch "Hollerith-Maschinen" genannt) auskannte und andererseits auch etwas von Statistik wußte, musste er (neben seiner eigentlichen Arbeit) immer die Studienberechnungen für die Herren medizinischen Wissenschaftler durchführen. Wenn er dann mal gemeint hat "so geht das nicht, das ist mathematisch nicht zulässig, wurde er von denen immer nur blöd angemacht, du kannst das wohl nicht, du bist zu dumm dafür, oder bist du nur zu faul ...

Irgendwann, nach 8 (!) Jahren meinte er dann, jetzt reichts, "jetzt werd ich auch schlau" und hat mit 35 Jahren ein Medizinstudium begonnen und in der kürzestmöglichen Zeit auch abgeschlossen.

Als er sich dann niederließ (der Desktop-PC war inzwischen erfunden und in manchen Arztpraxen standen sie auch schon) hat jeder seiner ehemaligen Komilitonen gemeint: der wird uns jetzt eine automatisierte/computerisierte Praxis hinlegen dass es kracht.

Nix, niente, nada, bis zu seinem verfühten Unfalltod hat der keinen Computer mehr angeschaut und vor allem gemeint, dass das mit Medizin gar nix zu tun hat! Als naturheilkundlicher Badearzt hat er Medizin nämlich ganz anders gesehen, als uns die Ingenieure und Naturwissenschaftler (und ihre treuen Anhänger von der Politik und den Kassen) dies einreden wollen! Literatur ist ja auch etwas anderes als bloße Rechtschreibung!!!!!!

P.s.: Ich warte nur darauf, dass uns die Ingenieure endlich einen Roboter bauen, der die Ärzte ersetzt, der Dramen verfasst wie Shakespeare und Musik wie Mozart oder Queen. Der wird dann nämlich als erstes den Ingenieuren sagen, wie sie ihre Arbeit verbessern können!

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Komplex, überdreht, bald knallt`s
@Benedicta. Jetzt hat es Landarsch doch so genau dargestellt. Genau so komplex ist die Materie. Und er hat sogar eine wunderbar fette Portion Schmunzeln über den eigenen Verein oben drauf gepackt. Aber das Bild des selbstverliebten arroganten Arztes, der die Leistung der andern herabwürdigt um sich auf sein brüchiges Podestlein zu Hiefen mag man halt nicht lassen.
Diese Komplexität, die in all den obigen Beschreibungen durchscheint und doch nur ein müder Abklatsch des kafkaesken Retortenmonsters aus Partikularinteressen und bürokratischer Zwangserkrankung ist, kann man auch anders nennen: Ein Wahnsystem.
Ich bin sicher, wir alle werden noch erleben, wie dieses der normalen Sozialevolution zum Opfer fällt. Die von Benedicta zu Recht gelobten, viel effektiveren Kommunikationsstrukturen von Teams und deren sinnvolle Bezahlung nach dem Geldwert, den sie für den Konsumenten darstellen, werden den (leider PC-gestützten) Bürokratieparasiten KV letztlich verschlingen. Neuester Exzess ist die Superkodierung!!
Das KV/Kassen/Politiksystem ist nämlich im Gegensatz zu dem innovativ technischen ungeregelt, planwirtschaftlich. Hier regieren deren einseitige Interessen, dadurch kommt es zu keinem Interessenausgleich und daher kollabiert es irgendwann wie jede Monokultur oder Diktatur.
Im Editorial des “Allgemeinarzt”10-2010, leider nicht verlinkt, schreibt Prof Krämer wie der Kollaps kommen wird. Weil alle Doofies oder manipulierenden Politiker nur die Kostenexplosion im Gesundheitswesen beklagen, wird das Wichtigste verschleiert. Diese Kosten sind großenteils durch Zusatznutzen für den Patienten ausgelöst. Heute will eben jeder eine Kernspintomographie des Hirns haben und kein Pneumencephalogramm mehr (Horror). Heute kann man Hüften super operieren und jeder Koxarthrotiker erwartet das. Aber das kostet! Und diese Kosten nehmen zu. Sie nehmen bei dem dümmlichen Politikgelüge “jeder bekommt was er braucht” ungebremst zu. Der Kollaps ist unausweichlich. Ich fürchte, erst im Rahmen dieses Gesundheitskollaps mit seinen gruseligen Verteilungsdebatten kann eine sinnvolle Systematik geboren werden. Die Illusionen schießen “vorerst” noch ins Kraut.

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@all: Danke - ihr beweist genau meine These.

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